Die Wissenschaften unterscheiden sich durch ihre Komplexität: Die Physik formuliert Grundlagen für Chemie und Biologie, darauf bauen wiederum Psychologie und Soziologie auf. In welcher Beziehung stehen diese Komplexitätsebenen und was bedeutet dies für das Verhältnis der einzelnen Wissenschaften untereinander? Innerhalb der Wissenschaftsphilosophie sorgen diese Fragen immer wieder für Debatten. In der Vergangenheit versuchte man meist, das Komplexe durch Wechselwirkung der Teile zu erklären. Im Gegensatz zu diesem reduktionistischen Ansatz steht die Betonung der Emergenz, also der Beobachtung, dass auf höheren Ebenen neuartige Phänomene auftreten und Eigengesetzlichkeiten entstehen können. Beide Sichtweisen haben etwas für sich, so Helmut Fink. In seiner Hörkolumne stellt er zunächst einflussreiche Vertreter beider Positionen und ihre Argumentationen vor. Anschließend plädiert er für einen schwachen Reduktionismus, der mit einer schwachen Emergenz vereinbar ist. Das bedeutet, Reduktion dort zuzulassen, wo sie sinnvoll ist, und andererseits anzuerkennen, dass komplexe Phänomene Eigenschaften aufweisen, die den einzelnen Bestandteilen fehlen. Auf dieser Basis könne auch der Dialog zwischen den Vertretern so unterschiedlicher Wissenschaften wie Physik und Soziologie gelingen. Fink kommt zu dem Schluss, dass der naturwissenschaftliche und der kulturwissenschaftliche Zugang beide ihren Platz im naturalistischen Humanismus haben und das Potenzial besitzen, einander zu ergänzen.